STORY
Die Taggiasca Olive – eine schicksalhafte Frucht
Alle Wege führen nach Rom, auch die Via Aurelia, die die italienische Hauptstadt mit dem französischen Arles verbindet. Doch längst nicht alle Wege sind so schön wie dieser hier, der in Ligurien direkt zwischen dem dunkelblauen Meer an steinigen Küsten und grünen Hängen mit Steinmauern und Olivenbäumen entlangführt. Dies ist der Teil der Riviera, an dem die Sonne „sich setzt“ (ponente, der Westen, kommt von porre: setzen). Den Charme der Riviera di Ponente könnte man wohl als morbide bezeichnen, die Luft ist erfüllt vom Glanz vergangener Zeiten. Der Abschnitt zwischen Imperia und Ventimiglia wird die Blumenriviera genannt, denn im 19. Jahrhundert wurde hier ausgiebig Blumenzucht betrieben. Die Blumen sind heute weitgehend verblüht, die grüne Pflanzenwelt hat die meisten der Gewächshäuser besiegt, auf dicht bewachsenen Hängen sieht man noch die Glasskelette. Auch die einst mondänen Städte Imperia und Sanremo wirken vielleicht ein wenig verblüht, sind aber gerade deshalb unglaublich reizvoll und wenn man auf dem Piazza Dante seinen Espresso schlürft und auf den wilden Kreisverkehr mit Motorrollern, Apen und Bussen blickt, weiß man irgendwie, dass man genau am richtigen Ort ist.
Und für wen es auch der absolut richtige Ort ist: die Taggiasca Olive. Das Mikroklima der Riviera di Ponente und besonders der Provinz Imperia ist wie für sie gemacht: trockene Sommer und feuchte Winter ohne Frost. Hier findet sie genau die Kombination aus Erde, Wasser und Klima, mit der sie ihren Charakter vollständig entfalten kann. Benediktermönche brachten im 7. Jahrhundert den ersten Baum dieser Sorte aus der Provence mit, um die ansässigen Bäuer:innen zu unterstützen. Im Valle Argentina (dort gibt es auch einen glasklaren Fluss, in den die Ragazzi heutzutage waghalsige Sprünge von den Felshängen machen), in der Gemeinde Taggia, bauten sie bis Anfang des 8. Jahrhunderts ihr Kloster und so kam die Olivensorte zu ihrem Namen. Ab dem 11. Jahrhundert wurden Terrassen mit Trockenmauern angelegt, um Kulturflächen für Olivenhaine zu gewinnen – die Arbeit der ligurischen Olivenbäuer:innen ist also hauptsächlich Handarbeit, da sich hier naturgemäß nur schwer mit Maschinen arbeiten lässt. Die eigenhändige Arbeit an den Bäumen lohnt sich aber, denn sie können hunderte von Jahren alt werden und sind bei guter Pflege auch in hohem Alter noch ertragreich.
Die Farben der Taggiasca Olive sind prächtig: sie variieren zwischen Grün und Violett bis hin zu intensivem Dunkelbraun. Auch die geschmacklichen Nuancen sind auszeichnend: sie ist gleichzeitig süß, mild und leicht bitter. Ihr wird auch ein nussiger Geschmack nach Mandeln oder Pinienkernen zugesagt. Ihre Form ist eher klein, länglich oval und mit einer glatten Oberfläche. Das Fruchtfleisch ist fest und eignet sich auch deshalb gut zur Konservierung in Öl oder Salzlake. Diese kompakte erdige Eleganz passt eigentlich ziemlich gut zum Zauber dieser Gegend.
Die Taggiasca Olive lässt sich auch ideal zu Öl verarbeiten, das aufgrund seines einmaligen süß-fruchtigen Geschmacks seit 1997 eine geschützte geographische Angabe mit der Bezeichnung DOP Riviera Ligure Riviera dei Fiori trägt. Das Native Olivenöl Extra mit seiner gelbgrünen Farbe ist ebenso weltberühmt wie seine Früchte. Und kein Geringerer als dieses Öl war es im Grunde genommen auch, das Tranquillo zur Auferstehung inspiriert hat. In diesen Landstrich hatten sich nämlich auch meine Großeltern in den 80ern verliebt und die verschiedenen Fäden des Familien-Patchworks haben sich hier im Hinterland von Imperia sowie im inzwischen berühmten Bussana Vecchia und auch in der Nähe des Valle Argentinas kleine Häuschen gekauft. Und hier trieb sich dann nach seiner Kochausbildung auch der junge Sohn Raoul auf seiner Vespa herum, schloss Freundschaften mit Produzent:innen und brachte auf seinen Autofahrten zurück nach Hamburg immer literweise Olivenöl aus Taggiasca Oliven und andere ligurische Leckereien für seine Kochkolleg:innen mit. Und das wurde dann einfach professionalisiert: durch eine kaufmännische Ausbildung in einem Hamburger Weinhandel und schließlich der Gründung von Tranquillo im Jahr 1994.
Ohne diese schicksalhafte Landschaft, die eine Hamburger Familie damals dazu brachte, zu Möchtegern-Italiener:innen zu werden, und ohne diese leckeren Taggiasca Oliven und ihr Öl, hätte also alles ganz anders kommen können.
Text: Lola Pfeiffer, Bilder: Julia Kaiser